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Bereits als Kind, zu Grundschulzeiten, erkrankte ich das erste Mal an einer Depression. Aber da es „sowas“ nicht gibt, weil nicht sein kann, was nicht sein darf, hat man es nicht so recht erkannt. Ich habe zwar verschiedenste Therapieformen durchlaufen u.a. die von mir zutiefst gehasste Musiktherapie, in der ich mich „ausdrücken“ sollte. Ich war so gehemmt und eben ausdruckslos zu der Zeit, dass ich eben nicht das Schlagzeug dreschen konnte und munter auf dem Klavier klimpern. Ich war das Kind, das sich nicht freuen konnte und selten lachte, selbst Geburtstagsgeschenke konnten mich nicht erheitern. Irgendwie bin ich wohl zunächst aus dem Tief rausgekommen, nicht zuletzt des Hundes wegen, den meine Mutter irgendwann kaufte.

Dieses Empfinden von Gefühllosigkeit, Dunkelheit und Schwermut zieht sich dennoch wie ein roter Faden durch Kindheit und Jugend, so dass es nicht verwunderlich ist, dass ich mit 17/18 Jahren an einer sehr schweren Depression erkrankte. Existenziell schwer und unnachgiebig. Ich lag wochenlang im Bett, duschte nicht, aß kaum, schaffte es mit mindestens einer Stunde Anlauf erst, überhaupt auf die Toilette zu gehen.  Irgendwann kam dann der Punkt, da meine Mutter sagte, entweder ich gehe zum Arzt, oder sie lässt mich einweisen bzw. versucht es. Ich ging zum Arzt, nahm Medikamente (ohne die ich heute nicht mehr leben würde) und machte eine Therapie. Ich arbeitete die Kindheit, die Scheidung meiner Eltern und das Leben ohne Vater, die Umstände meines Lebens auf, soweit ich das in dem Alter reflektieren konnte. Gelernt habe ich daraus für mich, was Resilienz bedeutet und dass nur ich selbst mir helfen kann. Niemand sonst. So ist es heute noch. Ich habe ein unglaubliches Reservoir an abrufbaren Kräften, die mich manchmal selbst erstaunen. Und ich bin deshalb manchmal so unnachgiebig mit mir und anderen, weil ich nicht akzeptieren kann, wenn man sich hängen lässt. Ich kann da nicht aus meiner Haut. Nicht mehr. Und letzten Endes vertraue ich nur mir selbst und meinem Kräften und verlasse mich ungern auf andere. Anderes Thema.

Und so dachte ich eben nach der Kündigung unserer Wohnung durch den neuen Eigentümer, dass ich auch das „wuppen“ werde. Ich fing sofort an zu packen, organisierte Besichtigungstermine, die Kinderbetreuung zu bestimmten Anlässen in der Zeit, machte einen Schlachtplan und ackerte. ‚Nebenbei‘ ging ich Vollzeit arbeiten und versuchte nach Kräften, meinem Kind eine gute Mutter zu sein. Ich machte also einfach so, wie ich es gewohnt bin: Vorwärts gehen, nicht stehen bleiben, machen machen machen, nicht aufgeben. In meinem Kopf stapelten sich To-do-Listen, berufliche und private, für den Kindergarten und die Freizeit. Es war sehr sehr viel, was ich da in den letzten Monaten bewegt habe. Innen und außen. Ich versuchte, eben jenen Widerstand zu leisten, den ich konnte, um mir nicht einzugestehen, dass auch mich der Verlust des Zuhauses belastet. Das Zuhause, in dem quasi unser Kind geboren wurde, zumindest gefühlt, sie hat eben dort ihre ersten 1,5 Jahre verlebt. Aber ich bin nicht stehen geblieben und habe reflektiert. Ich habe gemacht. Und die Quittung kam. Erstmal durch eine amtliche Mandelentzündung wenige Tage vor dem Umzug, vielmehr aber noch durch eine lange nicht gekannte Erschöpfung. Körperlich und emotional. Am Abend des Umzugstages war ich dem Gefühl, nicht mehr zu können, nicht mehr zu wollen und einfach aufzugeben so nah, wie zuletzt vor 20 Jahren. Aber da das als Mutter und Ehefrau nicht geht, machte ich weiter. Aber immerhin habe ich angefangen, an mir und meiner emotionalen Lage zu arbeiten, habe reflektiert und mich freigestrampelt. Es wurde aber auch mit jedem geleerten Karton besser und mit jeder Auszeit, die ich mir nahm. Vor dem Umzug habe ich nur das Büro und die Wohnung gesehen, jetzt treffe ich mich wieder mit Freunden, meinen Mädels und denke ein bisschen mehr an mich. Seit gestern habe ich das Gefühl, es ist überstanden und ich bin heute das erste Mal wieder früh im Büro gewesen. In den letzten Wochen konnte ich nicht aufstehen. Es ging einfach nicht. Es geht jetzt wieder und ich fühle diese Riesenlast auf Brust und im Herzen nicht mehr.

Ich sage immer, erfolgreich behandelte Depressionen sind dennoch wie die Sache mit dem trockenen Alkoholiker: Sie sind immer Teil von Dir und die Gefahr, rückfällig zu werden, ist immer präsent. Es ist ein lebenslanger Kampf gegen die an einem zerrenden Dämonen. Aber er lohnt sich.