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Der heutige Gastartikel kam über meinen Twitteraufruf zu mir, mit dem ich weitere Gastautoren suchte. Ich freue mich, dass Anni mir diesen Text geschickt habt. Wenn ihr etwas Zeit habt, besucht ihren Blog, sie schreibt wirklich toll und ich bin froh dort zu lesen, dass sie schon ein paar große Schritte weitergekommen ist.

Darf ich vorstellen? Meine Depression*
Dann wollen wir mal:

Depression – ich möchte dir die Welt vorstellen.

Die Welt – das ist meine Depression.

Meine Depression feiert demnächst ihren zweiten Geburtstag. Sie wurde von meiner Hausärztin auf die Welt geholt, nachdem andere Erkrankungen durch Blutbilder, Urinuntersuchungen, Ultraschalls und Hormonbestimmungen sicher ausgeschlossen werden konnten. Seit dem bekommt meine Depression Antidepressiva. Über das erste lachte sie nur, das zweite – das ich seit gut einem Jahr nehme – hält sie besser in Schach. Einige Symptome trug ich allerdings schon Jahre mit mir herum, bevor ich die Diagnose bekam.

Depressionen sind keine Phase
Meine Depression ist keine Phase, kein Wunsch nach Aufmerksamkeit, keine Ausrede, sie ist nicht hip. Sie lässt mich nicht tagelang weinen, sie macht mich nicht faul oder dumm. Sie lässt mich nicht verwahrlosen. Sie ist keine Gefahr für andere, höchstens für mich. Sie macht mich weder zu einem besseren noch zu einem schlechteren Menschen. Sie ist nicht ansteckend. Meine Depression lässt sich nicht durch eine Tasse Tee, lustige Katzenvideos, einen Spaziergang, ein heißes Bad oder dem Auswendiglernen von Kalendersprüchen heilen. Meine Depression ist keine Selbstreflektion, keine Sinnkrise, kein schlechter Tag oder gar eine schlechte Woche, kein „stell dich mal nicht so an.“ Meine Depression ist nichts, wofür ich mich schämen muss. Sie ist nicht nach ein paar Tagen wieder weg wie ein Schnupfen. Meine Depression hat nichts romantisches oder poetisches. Und mit zusammenreißen hat meine Depression auch nichts zu tun.

Auswirkungen meiner Depression
Meine Depression zeigt sich gerne durch Selbstzweifel bis hin zum Selbsthass, Erschöpfung, Fressattacken oder wahlweise Appetitlosigkeit, Konzentrationsstörungen, Schlafstörungen, Lärm- und Geruchsempfindlichkeit, Verspannungen, innere Leere, Drang zur Selbstverletzung, Suizidgedanken, Überforderung, Hoffnungslosigkeit, Antriebslosigkeit, Apathie, endlose Gedankenspiralen, innere Leere, Ängste. Sie besucht mich, wann immer sie möchte und bleibt mal länger, mal kürzer in unterschiedlichen Stärken. Meine Depression bestimmt mein Leben – seit Jahren. Meine Depression gefährdet mich, meine sozialen Beziehungen, meine Ehe, meinen Arbeitsplatz. Meine Depression ist ein chemisches Ungleichgewicht in meinem Kopf, das sich auf mein Denken, Fühlen und Handeln auswirkt. Meine Depression hat sich auch nach sechs Wochen psychosomatischer Klinik nicht einfach so verpisst. Meine Depression fühlt sich an wie eine tonnenschwere Last, die mich bewegungsunfähig macht. Meine Depression färbt alles grau. Meine Depression verschluckt alle Gefühle, die sie finden kann – vor allem die positiven. Meine Depression nimmt sich, was sie kriegen kann. Sie saugt mich aus wie ein Vampir. Sie lässt eine Hülle zurück, die atmet, funktioniert, aber nicht lebt.

Ursachen meiner Depression
Meine Depression hat sich aufgrund verschiedener Faktoren in meiner Kindheit und Jugend entwickelt. Eine suchtkranke Mutter, Mobbing in der Schule, Ablehnung durch die Großeltern – ich war immer die Außenseiterin, die, die nicht dazu gepasst hat, die Streberin, die Unsportliche, die Fette, die Ängstliche, die schief singt, die falschen Klamotten trägt, die falschen Bands mag, am falschen Ende vom Dorf wohnt. Anpassung wurde dadurch meine Königsdisziplin. Ich habe mich so lange angepasst, verbogen und eingeschränkt, bis ich selbst nicht mehr wusste, wer ich bin. Durch chronischen Stress hat sich das so weit verschärft, dass ich zusammengebrochen bin. Im Moment bin ich noch auf der Suche nach mir – hoffentlich (m)ein Weg, die Krankheit besser in den Griff zu bekommen. Ich habe eine tolle Therapeutin, die mich dabei unterstützt. Ich mache Yoga, autogenes Training, höre Musik, male, lese, habe mir eine Tageslichtlampe gekauft, achte auf mich und meine Gedanken, setze mich mit mir auseinander. Ich kämpfe, Tag für Tag.

Eine Bitte an Euch
Zu guter Letzt eine Bitte an alle, die nicht an Depressionen leiden: Depressionen zu verstehen ist schwer, wenn nicht gar unmöglich. Aber bitte respektiert unsere Krankheit – es ist eine wirklich erstzunehmende, manchmal lebensbedrohende Erkrankung. Hört uns zu. Seid für uns da. Und unterstützt uns. Bevormundet uns nicht, redet uns nicht klein. Kämpft mit uns gemeinsam. Dadurch könnt ihr Leben retten.

Alles Liebe

Anni

*Ich schreibe hier bewusst nur über meine Depression. Die Krankheit ist so verschieden, wie die Menschen, die an ihr erkranken. Jeder erlebt sie anders, hat eine andere Vorgeschichte, andere Symptome und Einschränkungen.